Menschen haben Krebs.
Krebs ist das Wort, das Menschen sehr oft hören und bei dem sie dann völlig zusammenbrechen. Es ist das Wort, das ihnen sagt: „Es ist jetzt so weit. Du bist dran. Du hast jetzt ein großes Problem. Ein Problem, aufgrund dessen du auch sterben kannst.“
Das Röntgenbild zeigt: „Krebs ist da.“ Ein Tumor. Ein Gewächs. Ein Gewächs, das auch streut. Es muss aufgehalten werden. Es muss schnell beseitigt werden. Dann vielleicht ist alles wieder anders. Man kann es versuchen. Man muss aber sehr schnell sein, sonst ist es vielleicht zu spät. Man kann nicht warten. Man ist einfach gezwungen, zu handeln.
Krebs ist aus der Sicht der Menschen sehr gefährlich. Krebs alarmiert Menschen. Sie sind hellwach, wenn sie hören: „Sie haben Krebs.“
Dann ist plötzlich alles anders. Dann müssen sie sich Zeit für sich nehmen. Dann geht es nicht mehr anders. Dann müssen sie auch viel für sich tun. Heißt: „Sie müssen Untersuchungen über sich ergehen lassen. Viele Untersuchungen. Man will wissen. Man muss genau abklären, was ist. Man möchte gezielt vorgehen. Man möchte auch verstehen.“
Es geht um das eigene Leben. Plötzlich hat das eigene Leben Priorität.
Du musst dich jetzt darum kümmern, was ist. Kein Zögern. Kein Verschieben. Einfach jetzt dafür sorgen, dass Klarheit ist. Klarheit darüber, was ist.
Müssen ist da. Das kennen Menschen. Sie lernen jetzt, was Müssen wirklich heißt. Kein Ausweg. Sie sind sonst meist der Meinung: „Ich kann das doch auch noch später tun.“
Alles, was mich persönlich betrifft, kann später sein. Zunächst muss aber geschehen, was wichtig ist. Ich bin wichtig, aber nicht so wichtig wie das, was jetzt ansteht.
Meist ist es Berufliches. Hat mit Geldverdienen zu tun. Aber auch mit Dingen, die man haben muss. Mit der Wohnung, die man neu haben muss. Mit der Ausstattung der Wohnung, die man neu haben muss. Mit dem Auto, das repariert werden muss. Mit dem Auto, das neu angeschafft werden muss. Mit dem Kredit, der bedient werden muss, damit man sich das alles leisten kann. Mit dem Urlaub, den man auch noch braucht. Eben mit allem, was man so braucht und tun muss, damit man lebt.
Leben kann, wie es gut ist. Wie man auch leben muss, damit man mitkann. Mithalten kann mit anderen Menschen.
Menschen denken. Sie sind überzeugt, es ist nicht anders möglich. Leben ist Arbeiten und Anschaffen. Zum Leben dazu gehört auch, dass man zeigen kann, dass man viel hat. Man hat viel und ist dann jemand. Man muss also viel tun.
Viel zu tun ist gut. Dann ist man gut. Stress hilft. Stress zeigt, dass man viel tut.
Man ist dann wichtig. Wichtige Menschen kommen vorwärts. Vorwärtskommen ist wichtig, weil man dann auch mehr hat. Man hat viel. Gut, dann ist man glücklich und zufrieden. Glücklichsein und Zufriedenheit sind eng mit Geld verbunden.
Menschen tun viel dafür. Sie strengen sich an. Sie tun immer mehr. Sie verausgaben sich. Sie überfordern sich. Sie geben es auf, zu leben. Sie ordnen alles dem Geldverdienen unter.
Ihr Leben wird schwierig. Sie sind erschöpft. Sie lassen aber nicht zu, was ist. Der Gedanke „Ich bin erschöpft„ macht ihnen Angst – und lässt sie auch erschauern. Alles steht auf dem Spiel. Ich darf nicht schwach sein. Ich darf nicht nachlassen, sonst ist unter Umständen alles weg. Das Leben vorbei, das ich führen konnte, als ich noch stark war. Leisten konnte.
Menschen sehen nicht, dass sie damit einen Weg gehen, mit dem sie von sich selbst entfernen. Sie werden immer mehr anders. Sie sehen nichts mehr. Ihr Leben ist fremdbestimmt. Ihre Gedanken haben sie im Griff. „Ich muss“ kommt ständig vor. „Ich muss“ wird für sie zum Zwang. Sie müssen alles. Ihr Leben ist ein einziges Müssen. Sie müssen immer. Ihre Tage beginnen schon mit einem Müssen.
Ich muss früh aufstehen. Ich muss der Erste im Büro sein. Am Sonntag: Ich muss mich noch vorbereiten auf morgen. Ich kann nicht unvorbereitet die Woche beginnen. Ich muss auch noch am Sonntag etwas arbeiten. Ich muss dann gleich alles in die Wege leiten. Ich muss der sein, der das Heft straff in der Hand hält. Niemand darf sehen, dass da etwas ist, was nicht gut ist. Ich will zeigen: „Ich bin da.“ Immer da. Unersetzlich. Ich will keinerlei offene Agenda haben. Ich will zeigen: „Ich bin gut. Ich bin der Beste.“ Ich will keine Zweifel darüber aufkommen lassen, dass ich etwas nicht kann. Ich muss einfach dafür sorgen, dass keiner an mir zweifelt.
Menschen sind also beschäftigt. Mit Gedanken beschäftigt. Gedanken, die sie nie ruhen lassen. Ich muss dafür sorgen, dass alles klappt. Dann ist alles gut. Dann kann mir nichts geschehen.
Es geschieht aber etwas. Menschen denken etwas, das ihnen nicht guttut. Sie sind beschäftigt mit Gedanken, die sie ständig unter Druck setzen. Ihre Psyche leidet. Ihr Menschsein leidet. Ihr Leben ist geprägt von Müssen. Sie müssen viel. Zu viel für Menschen.
Keine Gelassenheit. Keine Ruhe. Kein Frieden. Immer beschäftigt. Immer auch der, der zeigen will. Immer online. Immer verfügbar. Man hört nur noch: „Es ist notwendig. Ich muss da sein. Ich muss erreichbar sein. Ich muss doch zeigen, dass ich engagiert bin. Ich muss doch der sein, auf den man sich verlassen kann. Ich muss doch einfach der sein, der immer da ist.“
Menschen sind nicht da. Sie sind weg. Sie sind weg von sich selbst. Sie spielen nicht mehr mit. Sie werden gespielt. Sie sind der Ball, der dauernd läuft. Sie sind der Ball, der dauernd weitergetrieben wird. Sie sind der Ball, der immer in Bewegung ist. Nicht Bewegung, die guttut, sondern Bewegung, die sein muss. Keine Bewegung, die wirklich dem Menschen etwas bringt, sondern Bewegung, die zeigt. Zeigt: „Ich tue, was man muss. Ich bin dabei. Ich bin beschäftigt. Ich zeige etwas. Man sieht mich.“
„Ich sehe mich nicht mehr.“ Das ist etwas, was Menschen dann nicht erkennen. Ihr Leben ist einfach so. Man kann nicht anders. Man ist verpflichtet. Man muss doch so sein. Man kann nicht anders. Es tun das doch alle. Alle sind so. Man kann doch nicht anders sein.
Menschen haben Krebs. Jetzt muss plötzlich alles anders sein. Man muss sich um sich selbst annehmen. Ja und nein. Man lässt einfach zu, dass jemand sich annimmt. Ein Arzt, ein Experte. Jetzt muss alles getan werden. Alles, was vorrangig andere sagen. Ich weiß nicht, was ist. Ich weiß nicht, warum ich plötzlich Krebs habe.
Sag mir bitte, was ist. Sag mir bitte, was ich tun muss. Sag mir bitte, wann ich es tun muss. Sag mir bitte, wie ich es tun muss. Ich muss wissen, was ich tun muss.
Ich weiß nichts.
Hilflosigkeit ist da. „Ich weiß nichts“ sagt alles. Menschen übergeben sich anderen Menschen. Sie wissen alles. Sie wissen auch, warum ich Krebs habe.
Nein, das wissen sie nicht. Das interessiert auch niemand. Jeder will nur handeln. Jeder will etwas sehen. Was?
Der Krebs ist weg.
Was, wenn mir der Krebs etwas sagen wollte?
FRAGE: Will der Krebs mir etwas sagen?
ANTWORT: Krebs ist eine Krankheit, die drastisch zeigt, dass da etwas ist, was der Mensch nicht übersehen sollte. Etwas, bei dem er das Ansehen immer verschoben hat. Probleme, die ihn schon lange befassen, die aber nie einer Lösung zugeführt wurden. Der Mensch wollte nicht anschauen, was da ist. Er hatte keine Zeit. Der Mensch wollte sich einfach nicht die Zeit nehmen, anzuschauen, was ihm seit längerer Zeit Probleme bereitet. Ihn aufmerksam macht auf etwas, was nicht gut ist. Der Mensch wollte nicht. Der Mensch muss jetzt anschauen, was ist.
Nein, der Mensch denkt jetzt: Ich muss jetzt lösen lassen, was ist.“ Der Krebs muss weg.
FRAGE: Hilft das?
ANTWORT: Etwas ist da. Niemand weiß, warum. Niemand befasst sich mit dem Warum. Kann dann das weg sein, was zeigt, da ist etwas, das nicht gut ist? Logisch ist das nicht. Warum? Wenn es wahr wäre, dass der Krebs etwas zeigt, dann muss doch auch wahr sein, dass das, was er zeigt, nur geht, wenn es gelöst wird. Wenn das Problem gelöst wird, worauf der Krebs hindeutet. Das wollen die meisten Menschen aber nicht sehen. Sie wollen nicht sehen, dass da etwas ist, das den Krebs sein lässt. Also weg mit dem Krebs und dann sehen wir weiter. Was?
FRAGE: Was kann dann sein?
ANTWORT: Dann kann der Krebs dort wiederkommen, wo er schon war, oder er zeigt sich woanders, in einer anderen Form. Vielleicht noch gefährlicher positioniert als schon beim ersten Mal. Man sagt: „Das kann sein, dann tun wir einfach wieder etwas.“ Was?
Meist dasselbe. Chemo. Bestrahlung. Operation. In welcher Reihenfolge auch immer. Jedenfalls ist wieder der Krebs da. Das Problem, das nicht angeschaut wurde, bleibt weiter bestehen. Der Mensch geht seinen Weg. Er lässt tun. Ich weiß nicht, was. Das, was ich schon kenne, hat nicht wirklich geholfen. Ich bleibe dabei.
Ich habe Krebs. Man soll tun. Ich will nichts tun.